Recruiting

Nur ein technischer Prozess?
































Natürlich nicht. Ein Unternehmen, das neue Mitarbeiter gewinnt, muss an mehr denken als an den effektivsten Weg zur Personalbedarfsdeckung. Das gilt umso mehr in Zeiten, in denen auf Arbeitsmärkten Knappheit herrscht und sich auch „prominente,“ attraktive Arbeitgeber bei der Personalgewinnung nach der Decke strecken müssen. Von A, wie Arbeitgebermarke, bis Z, wie Zusatzleistungen, gibt es viel HR-Technik, die professionell beherrscht werden muss. Von den einschlägigen Tools, die immer schwerer zu überblicken sind, gar nicht zu reden. Jeder - verantwortungsbewusste - Arbeitgeber ist sich darüberhinaus klar, dass seine Arbeitgebermarke auch nach innen wirkt. Umgekehrt sind die eigenen Mitarbeiter die besten Markenbotschafter nach außen. Im Recruiting gilt, mehr als bei anderen HR-Prozessen, „Innenpolitik“ ist immer auch „Außenpolitik“ und umgekehrt.

Recruiting - die Bedeutung der Kultur

Recruiting hat also kulturelles Gewicht - in jedem Unternehmen! Wie sich ein Arbeitgeber am Markt positioniert, sollte Ausdruck seiner Identität sein. Dabei muss es, so altmodisch dies klingt, „wahrhaftig“ und offen zugehen. Ein neu Eingestellter muss zwar mit Unsicherheiten umgehen können, sollte aber in der neuen Firma keine unangenehmen Überraschungen erleben. Bei Vergütung und Nebenleistungen kann man das ausschließen - dazu sollte alles im Arbeitsvertrag stehen - bei der Bürosituation, den Arbeitsmitteln oder gar dem Verantwortungsbereich kann das schon anders aussehen. Ein guter Arbeitgeber ist - kurz gesagt - in der Ansprache seiner neuen Mitarbeiter ehrlich. Nicht nur beim Geld!

Ehrlichkeit in der Mitbestimmung ist immer richtig

Hierzu gehört auch die Ehrlichkeit hinsichtlich der Komplexität und damit auch der Dauer des Rekrutierungs- und Besetzungsprozesses. Dieser ist mitbestimmt, also ohne die Zustimmung des Betriebsrates geht es nicht oder nur durch das Ersetzen der Zustimmung durch das Arbeitsgericht. Selbst die ist nicht immer möglich - wenn nämlich der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß über die Einstellung unterrichtet hat, oder Zustimmungsverweigerungsgründe - ein Mammutwort! - nach § 99, Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes vorliegen. Allerdings: Die Vorstellung, gegen den ausdrücklichen Wunsch der Interessenvertretung eingestellt zu werden, dürfte ohnehin für jeden neuen Mitarbeiter eine ziemliche Hypothek sein. Das muss ja auch nicht sein …

Ein kulturell reibungsloser Prozess setzt Offenheit voraus

Wer die Offenheit nach Außen auch in der Mitbestimmung praktiziert, macht im Recruiting alles richtig. Der Preis für die rechtzeitige und umfassende Einbindung des Betriebsrates bei personellen Einzelmaßnahmen - und eine solche ist die Einstellung - ist dessen Diskretion im Umgang mit Bewerberdaten. Jede Bewerberin, jeder Bewerber muss sich darauf verlassen können, dass mit seinen persönlichen Daten vertrauenswürdig umgegangen wird. Dazu sind Arbeitgeber und Betriebsrat verpflichtet. Vertrauen in die Diskretion und Offenheit sind also zwei Seiten der gleichen Medaille.

Wie offen muss der Bewerber sein?

Welche Erwartungen darf ich - als offener, um „Wahrhaftigkeit“ bemühter - Arbeitgeber haben, was die Offenheit des Bewerbers/der Bewerberin angeht? Um es gleich zu sagen: Es gibt Tabus. Gewerkschaftszugehörigkeit und eine etwaige Schwangerschaft haben Michaelas Arbeitgeber nicht zu interessieren. Ich darf ferner keinen Bewerber wegen Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, seines Alters oder sexueller Orientierung benachteiligen. So sieht es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor. Inzwischen experimentieren Arbeitgeber mit vollständig anonymisierten Bewerber-Profilen, aus denen nur Qualifikation, Erfahrung und Interesse des Bewerbers/der Bewerberin hervorgehen. Gut gemeint, aber für den Arbeitgeber, der sich etwas auf ein Vorstellungsgespräch einstellen möchte, gewöhnungsbedürftig ...

Stereotypen im Arbeitgebermarketing - was sagen sie über mich aus?

Wie ist die Ikonographie meines Arbeitgeberauftritts? Welche Geschlechter, ethnischen Zugehörigen zeige ich in welchen Rollen? Wie geschlechtsneutral sind meine Stellenanzeigen formuliert? Hier ist die Diskussion zur Frage, wie ich als Arbeitgeber wahrgenommen werden möchte, gut investierte Zeit. Denn: Wie gesagt, mein nach außen abgegebenes Bild wirkt nach innen. Mein Arbeitgeberauftritt, die Art wie ich mit Bewerbungen umgehe, wie professionell, aber auch empathisch ich den Prozess handhabe, ist Teil meiner Identität. Und, das hat sich inzwischen herumgesprochen, Unternehmen, die sich ihrer Identität bewusst sind, sind immer erfolgreicher!

Jürgen Niemann, betterHR